An Dich

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Autorin: byalady


Du bist weg.

Das Internet macht es möglich, dass ich das gleich schwarz auf weiß habe. Auch Todesanzeigen sind heute online - sogar in der Lokalpresse. Ein schwarzer Rahmen um eine schlichte Anzeige - “geliebter Sohn, Bruder, Onkel…” Warst Du das? Du hast Dich nicht so empfunden. Chaos in meinem Kopf. Und Wut. Und Schmerz.

Als wir uns kennenlernten wurdest Du mir als Teil einer Gruppe vorgestellt. Irgendwie. Der große ruhige überlegene Beobachter - gutaussehend - distanziert. Ein Superhirn! Deine Themen waren für die meisten in Deinem Umfeld “zu hoch” - eins Deiner größten Steckenpferde Astrophysik - ein anderes höhere Mathematik. Manchmal - nicht häufig - hast Du diese Themen angesprochen, was fast unweigerlich bedeutete, dass Du zu einem Monolog darüber angesetzt hast. Uns anderen blieb die Rolle der Zuhörer oder der staunenden, nicht verstehenden Nachfrager. Die Sicherheit mit der Du innerhalb dieser Themen navigiert hast, war mehr als beeindruckend und wirkte zwangsläufig manchmal arrogant.

Diese oft als Dialoge beginnenden Gespräche, waren Deine große Chance im Mittelpunkt zu stehen - Deine Chance auf Anerkennung - darauf wirklich mal wahrgenommen zu werden! Und doch waren sie selten. Später erst habe ich verstanden, dass sie Dir langfristig nicht das gaben, was Du gesucht hast. Dein Wissen machte Dich in der Gruppe einzigartig. Aber auch einsam. Der Mann auf dem Sockel an den man nicht ran kam.

Weißt Du noch was ich Dir am Ende eines solchen Monologs mal gesagt habe? Ich wünsche Dir einen Gesprächspartner, der dieses Thema mit Dir auf Augenhöhe diskutieren kann! Ich weiß noch wie Du gelächelt hast - traurig gelächelt hast. Damals war mir das nicht so klar, aber ich denke, dass bei Dir nach allen Gesprächen dieser Art ein schales Gefühl der Leere zurückblieb. Sicher hast Du Dir auch oft selbst geschworen kein solches Gespräch mehr mit “normalen” Menschen zu beginnen. Daher wurde diese Art der monologisierten Unterhaltung seltener.

Aber Du warst dabei. An Silvester, bei Geburtstagsfeiern, bei den Rad- und Städtetouren, bei Kinobesuchen, bei Partys im kleinen Rahmen, die eigentlich eher Abendessen mit bis zu 20 Leuten waren. Stets der Beobachter dem nichts entgeht. Eine Art Statist, der in einem kurzen Aufblitzen zu einem gefürchteter Kommentator werden konnte, nur um sofort wieder wie ein Camäleon mit der Wand zu verschmelzen! Dein staubtrockener und teilweise schwarzer Humor sorgte manchmal dafür, dass man sich innerlich duckte. Von Nichtbetroffenen wurden er beklatscht - von Betroffenen gefürchtet. Und er sorgte für respektvolle Distanz. Auch diese Kommentare waren selten und wurden während der Zeit unserer - ich möchte es nach wie vor Freundschaft nennen - seltener.

Was hat mein Bild von einem selbstbewussten, überlegenen, unabhängigen (und selbstverständlich beruflich erfolgreichen) Mann erschüttert? Für Dich klingt das sicher lächerlich, aber es war die zufällige Entdeckung Deines Musikgeschmacks: höchstromantische Songs, die ich sonst nur auf den Hitlisten von als hypersensibel verschrienen Freundinnen fand. Dieser Musikgeschmack war dann auch das Ziel von Spott durch ein paar Männer aus diesem Freundeskreis, die darüber wohl versuchten, den ein oder anderen Gesichtsverlust, den sie in Diskussionen mit Dir oder durch den einen oder anderen zynischen Spruch Deinerseits erlitten hatten, zu kompensieren.

Wenn wir Ladys damals untereinander die typischen “Wer passt zu wem” bzw. “Passt X zu mir?” Beziehungsgespräche führten, kamst Du nicht vor. Erst nach meiner Musikentdeckung begann ich damals nachzufragen warum. Der Konsens lautet (stark verkürzt): “Der braucht einen weiblichen Einstein. Neben ihm kommt sich doch jede normale Frau wie ein kleines Nichts vor. Kannst Du Dir vorstellen, dass der jemals einen Kompromiss eingeht oder Dich bei einer Niederlage liebevoll tröstet anstatt Dir gleich Deine Fehler aufzuzählen?”

Ich begann das Gespräch mit Dir über andere Themen als Deine Steckenpferde zu suchen. Politik, Geschichte, Soziologie, persönliche Themen. Und ich erlebte Dich ausweichend, zurückweichend und mich verletzend. Bis ich es wieder sein ließ. Es blieb die Ahnung von einer Seite an Dir die Du offensichtlich nicht teilen wolltest, die ich aber mochte. Esoterischer Kram, wie Du das später genannt hast.

Ich weiß nicht was in Deinem Kopf vorgegangen ist, aber mein “sein lassen” wolltest Du auch nicht mehr gelten lassen. Irgendwann war dieser Link in meiner Mailbox zu einem Forum das sich abgekürzt Abf2 nannte mit dem Zusatz: dort könne ich anonym mit Dir diskutieren, wenn ich das schon unbedingt wollte. Zu diesem Zeitpunkt sahen wir uns schon kaum mehr, da die alte Clique berufsbedingt in alle Winde verstreut war. Damals war das für mich ein Hilferuf. Ich nannte Dir meinen Nick und begann zu schreiben. Anfangs habe ich das dort oft vergiftende Klima schwer verkraftet. Ich fühlte mich häufig verletzt, persönlich angegriffen und wusste nie ob Du es warst der mich angegriffen und verletzt hat, denn Du hast mir Deinen Nick nie genannt. Ich lernte über die Diskussionen dort und schließlich auch in den angeschlossenen Foren zu differenzieren, mich zu distanzieren und ggf. Mauern aufzubauen, die für Dich bereits zur zweiten Haut geworden waren.

Später führten wir parallel zu den Forendiskussionen Metadiskussionen in denen Du immer weiter intellektuell abgedriftet bist - Dir rational wasserdichte Rechtfertigungen für Deine Mauern gebaut hast, die Dich zwangsläufig in eine Abwärtsspirale zogen. Ich kann Dir nicht beschreiben wie wütend ich oft war - auf diesen Teil von Dir, der sich diebisch über jedes gewonnene Scheinduell freute, über jede Kränkung die er mir zufügen konnte - in Stellvertretung für Frauen, die Dich verletzt hatte und der Dich gleichzeitig tiefer in Selbsthass führte. Schreibend konntest Du Dinge sagen, die Dir keiner der Dich persönlich kannte, zutraute.

Zuerst kam die Kritik an meinem “lächerlichen Diskussionsstil“, die ich einfach aufnahm und durch mich hindurch ließ. Dann musstest Du auf die inhaltliche Ebene wechseln. Wir hatten die berühmten Diskussionen in denen “man” das “ich” ersetzt. In denen Du mit allen Mitteln vermeiden wolltest vorzukommen und dadurch noch viel klarer vorkamst in Deiner Einsamkeit, Deiner Wut auf Dich selbst, Deinen Ängsten und der von Dir stark empfundenen Minderwertigkeit. Irgendwann kamen sie dann doch - die persönlichen Aussagen… Das ich… Immer wieder und leise… Ein Mosaik aus Andeutungen immer geschützt durch die Wand Deines hohen IQ, der alles was ich sagte jederzeit als unwissendes Gelaber abtun konnte… Ich wusste, dass Du Hilfe brauchst. Und ich wusste, dass Du sie nicht annehmen konntest, weil immer klarer wurde, dass Deine Mauer Dich vor buchstäblich allem schütze nur vor Dir selbst nicht, weil Du Dich hinter ihr so sehr verschanzt hattest, dass jeder Versuch sich zum bröckeln zu bringen für Dich eine willkommene Abwechslung war sie nachzubessern - von innen…

Als wir damals an den Punkt kamen an dem alles gesagt zu sein schien, wurde mir klar wie viel ich von unseren Gesprächen profitiert hatte und wie wenig Du. Auch Dankbarkeit konntest Du nie wirklich annehmen, weil sie nicht das war was Du gesucht hast… Sie war keine absolute allesumfassende Liebe. Ich bin sicher Du hast instinktiv gespürt, dass mein Lernen von Dir intellektuell war. Ich habe gespürt, dass Dein lernen wollen emotional war. Du hast nicht verstehen können das da nichts zu lernen ist. Nur zu fühlen. Was zwischen zwei Menschen passiert - wonach Du Dich so sehr gesehnt hast - entsteht wenn sie ihre Mauern verkleinern und einen Raum der Offenheit füreinander schaffen. Ich weiß das Du das aus Deiner Vergangenheit heraus nicht konntest. So blieb schweigen.

Als ich las, dass Du gegangen bist war ich wütend. Wütend und leer. Wütend auf mich selbst weil ich nicht überrascht war. Wütend auch, weil die Frage bleibt und immer bleiben wird, welchen Anteil ich - welchen Anteil die alte Clique an Deinem Schicksal hatte. Wir sind heutzutage schnell dabei zu sagen: Da hätten wir sowieso nichts machen können. Wenn jemand nicht mehr will kannst Du ihn nicht aufhalten.

Trotzdem ist ein Mensch fort, der mir etwas bedeutet hat. Ein Mensch der meinem Gefühl nach mehr als nur seine intellektuellen Fähigkeiten zu geben hatte. Ich mochte Dich. Auch wenn Dir “mögen” nichts bedeuten konnte, weil es einfach zu wenig war. Du wirst mir fehlen.

Der Rest ist Schweigen.

byalady